Die Grundsätze zur Abgrenzung einer erstmaligen Berufsausbildung oder Zweitausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG sind nicht zur Auslegung des § 9 Abs. 6 EStG heranzuziehen
§ 9 Abs. 6 EStG regelt ab 2015 klarstellend, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium nur dann Werbungskosten sind, wenn der Steuerpflichtige zuvor bereits eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder Studium) abgeschlossen hat oder wenn die Berufsausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Eine Berufsausbildung als Erstausbildung liegt vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird.
Sofern die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt werden, ist ein Sonderausgabenabzug gem. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bis zu 6.000 Euro im Kalenderjahr zu gewähren. Allerdings ist aufgrund der Deckelung auf einen Höchstbetrag bei den Sonderausgaben und die fehlende Möglichkeit eventuelle Verluste in spätere Kalenderjahre vorzutragen, ein Ansatz von Werbungskosten in der Regel günstiger.
Leider entfällt gem. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG mit der Zweitausbildung unweigerlich der Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind einer Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden nachgeht. Aus diesem Grund kann sich für Betroffene nicht selten ein Interessenskonflikt ergeben.
Der BFH hat mit seinem Urteil vom 12.02.2020[1] entschieden, dass die Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium im Kindergeldrecht[2] für die Auslegung des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F des BeitrRLUmsG nicht von Bedeutung ist. Das Urteil wurde zwischenzeitlich durch das BMF am 20.10.2020 für allgemein anwendbar erklärt.
Tipp:
Während beim Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 6 EStG eine Erstausbildung mit dem Abschluss des Bachelor-Studiums endet und die Aufwendungen für das Masterstudium als Werbungskosten abzugsfähig sind, handelt es sich im Kindergeldrecht i.S. des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG regelmäßig um eine einheitliche Erstausbildung mit der Folge, dass Kindergeld von der Familienkasse gewährt werden muss und zwar unabhängig von der Dauer der Erwerbstätigkeit. Ein ggf. auftretender Interessenskonflikt wird an dieser Stelle höchstrichterlich aufgelöst.
Beispiel:
Die 22-Jährige S begann nach ihrem Abitur mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre. Das Studium beendete S im Juni 2020 mit dem Bachelor-Abschluss, um unmittelbar danach mit dem Masterstudiengang zu beginnen. Seit Juli 2020 arbeitet S als Minijobberin acht Wochenstunden bei einem Steuerberater. Weitere Einkünfte hat S nicht erzielt.
Die Aufwendungen für den Masterstudiengang kann S als Werbungskosten im Rahmen ihrer persönlichen Steuererklärung geltend machen, weil nach § 9 Abs. 6 EStG der Abschluss eines Bachelorstudiengangs grundsätzlich eine Erstausbildung und ein nachfolgender Masterstudiengang ein weiteres Studium darstellt.[3] Der sich ergebende Verlust ist gem. § 10d EStG berücksichtigungsfähig. Da ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gem. § 32 Abs. 4 S. 3 EStG unschädlich ist, besteht ebenso ein Anspruch auf Kindergeld für die Monate Juli bis Dezember 2020.
Die Finanzverwaltung hat klargestellt, dass die kindergeldrechtliche Rechtsprechung bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 S. 2 EStG verwendeten Begriffe der erstmaligen Ausbildung und des Erststudiums keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG entfaltet.[4]
Laut BMF vom 08.02.2016 kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob die weiterführende Ausbildung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der nichtakademischen Ausbildung oder dem Erststudium steht und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wird. Ein enger sachlicher Zusammenhang lieg vor, wenn die nachfolgende Ausbildung z.B. dieselbe Berufssparte oder denselben fachlichen Bereich betrifft.[5]
Tipp:
Jede Art von Zweitausbildung (z. B. postgraduale Zusatz-, Ergänzungs- und Aufbaustudien, ein Referendariat, das Master- und Magisterstudium und die Promotion) führt daher unabhängig von der Einordnung im Kindergeldrecht und der einschlägigen Rechtsprechung zum Kindergeld zum Ansatz von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben. Der Anspruch auf Kindergeld bleibt selbst dann bestehen, wenn eine Beschäftigung von mehr als 20 Stunden wöchentlich während einer Zweitausbildung i. S. des § 9 Abs. 6 EStG ausgeübt wird, wenn es sich dabei um eine einheitliche Ausbildungsmaßnahme i. S. des § 32 Abs. 4 EStG handelt.
[1] Vgl. BFH-Urteil vom 12.02.2020, VI R 17/20, BStBl-2020-II-0719, BFH/NV-2020-0967
[2] Vgl. BFH-Urteile vom 11.12.2018, III R 26/18, BStBl-2019-II-765 und 22.05.2019, III R 69/18, BFH/NV-2019-1231
[3] Vgl. BMF-Schreiben vom 22.09.2010, IV C4-S-2227/07/10002, Rz. 24
[4] Vgl. BMF-Schreiben vom 08.02.2016, IV C4-S-2282/07/0001-01, Rz. 19
[5] Vgl. BMF-Schreiben vom 08.02.2016, IV C4-S-2282/07/0001-01, Rz. 12b